Jesus und das Schwert

Jesus predigt nächstenliebe. Aber er provoziert auch und spaltet: zwei Ansichten zu seinem berüchtigten Schwertvers.

 

Der eifersüchtige Gott

Text: Erwin Kress

Religion und Gewalt sind auch heute oft miteinander verbunden. Der Kampf um den „richtigen“ Gott fordert seine Opfer. Zwar entzündet sich Gewalt nicht nur an fremden Göttern, sie findet auch andere Gründe. Doch wäre die Zurückdrängung von Gewalt in menschlichen Beziehungen vermutlich einfacher, wenn Religion keine Rolle spielte.

Gegenwärtig sind wir Zeugen von Angriffen radikalislamischer Fanatiker auf Menschen anderer Religion und von innerislamischen Kämpfen. Letztere werden sich wohl noch lange hinziehen – denken wir an den Dreißigjährigen Krieg –, zumal sie durch Waffenlieferungen und geopolitische Interessen äußerer Mächte befeuert werden.

Islamische „Gotteskrieger“ halten Christen vor, ihr Jesus habe gegenüber seinen Jüngern auch erklärt: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ (Mt 10,34) Doch Jesus ist kein Kriegsfürst. Gerade hat er in der „Bergpredigt“ die als selig gepriesen, die Frieden stiften. (Mt 5,5-9) Doch nun sagt er den Aposteln: „Denn ich bin gekommen, den Menschen [den Mann] zu entzweien mit seinem Vater, die Tochter mit ihrer Mutter […] Und des Menschen Hausgenossen werden seine Feinde sein.“ (Mt 10,35-36) Bei Lukas heißt es: „Meinet ihr, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf Erden? Ich sage euch: Nein, sondern Zwietracht.“ (Lk 12,51). Warum diese Entzweiung, diese Zwietracht?

Es ist die Bedingungslosigkeit, mit der hier auf einem bestimmten Gottesbild, dem richtigen Gott, bestanden wird. Wer nicht an dieses Bild glaubt, wird zum Feind erklärt. „Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will auch ich verleugnen vor dem himmlischen Vater.“ (Mt 10,33) Bereits dem alttestamentarischen Gott der Juden war als sein erstes Gebot in den Mund gelegt worden: „Ich bin der Herr, dein Gott […] Du sollst keine anderen Götter haben neben mir […] Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifernder Gott“ (Ex 20,2-5), ein „eifersüchtiger“, wie es in früherer Übersetzung hieß, einer, der keinen anderen neben sich dulden kann.

Der Einzelne kann für sich der Forderung, „keine anderen Götter“ zu haben, nachkommen, wenn er von seinem Gott überzeugt ist. Doch dieser Gott will nicht der Gott eines Einzelnen sein. Und so sät er Zwietracht zwischen den „Ungläubigen“ und seinen Anhängern. Diese greifen zum „Schwert“, um ihren Gott siegen zu sehen.

Religiös begründete Gewalt finden wir gehäuft, wo sich das Christentum mit  weltlicher Herrschaft verbindet. Die Geschichte der Verfolgung von Heiden und Ketzern ist lang. Herauszuheben ist die ewige Verfolgung der Juden, gipfelnd in der Vernichtungswelle des Holocaust. Hitler fühlte sich dazu von Gott beauftragt, und Nationalsozialisten bedienten sich gerne der skandalösen Judenhetze von Martin Luther.

Menschen waren und sind schon immer zu Gewalt gegenüber ihresgleichen fähig. Herausragende Nächstenliebe ist mit ihrem Wesen ebenso vereinbar wie schlimmster Hass. Religion ist nicht für alle Gewalt in der Welt verantwortlich. Und dennoch: Gottesbilder, in die man hineingeboren wurde, die man entwickelt oder aufgegriffen hat, mit Schwert und Hass durchsetzen zu wollen, gehört zu den traurigen Kapiteln der Menschheitsgeschichte. Führen wir uns daher vor Augen: Glauben ist nicht wissen. Nicht Götter töten, sondern Menschen. Und solange die  Eiferer sich ihres Glaubenshochmuts nicht bewusst werden, wird Friede auf Erden nicht einfacher.

Foto: Arik Platzik

 

Erwin Kress, Jahrgang 1948, ist Diplom-Physiker und Präsident des Humanistischen Verbands Nordrhein- Westfalen.

 

 

 

Ein Schwert für den Frieden

Text: Christian Hartung

Als Deutschland im Zweiten Weltkrieg das Nachbarland Dänemark überfiel, diskutierten junge Christen darüber, ob Gewalt gegen die deutschen Besatzer erlaubt sei. Eine Studentin wandte sich in ihrer Gewissensnot an den bekannten dänischen Pfarrer und Dichter Kaj Munk. Er antwortete ihr, sie solle lernen, ein Maschinengewehr zu bedienen. Jesus habe befohlen, Witwen und Waisen zu schützen, und dies müsse notfalls mit Gewalt geschehen. Es sei kein Christentum, andere den Verteidigungskampf übernehmen zu lassen und selbst ruhig sitzen zu bleiben. Sie solle ein christlicher Mensch werden und in Jesu Namen lernen zu töten.

Eine radikale, eine extreme Position. Kaj Munk, der selbst keine Gewalt ausübte, wurde wegen seiner kompromisslosen Haltung von der SS ermordet. Hätte er sich zu Recht auf Jesu Wort berufen können: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ (Mt 10,34)?

Jesus ist eher für seine pazifistische Haltung bekannt geworden. Ein Pazifist, das ist im Wortsinn einer, der Frieden macht. Halte auch die andere Wange hin. Gehe zwei Meilen mit dem, der dir eine abzwingt. „Entfeindungsliebe“ nannte der jüdische Theologe Pinchas Lapide diese Haltung Jesu. Das Ziel ist, den Feind zu gewinnen, nicht zu bekämpfen.

Stehen die berühmten Sätze aus der Bergpredigt im Widerspruch zu dem Schwert-Vers wenige Kapitel später? Und wie gehe ich in einer Extremsituation damit um – wie sie etwa die dänischen Studenten vor rund 75 Jahren erlebten?

Wenn man Jesu Satz vom Schwert im Zusammenhang des Matthäus-Evangeliums liest, dann ist dort davon die Rede, sich zu Jesus zu bekennen und ihn nicht zu verleugnen. Dieser Entscheidungsdruck werde sogar Familien entzweien. Und wer glaubt, sein Leben gefunden zu haben, der wird es verlieren. Wer es aber um Jesu willen verliert, der wird es finden. Verse wie diese waren für Kaj Munk und andere christliche Widerstandsleute zentral.

Aber passt das in unsere Zeit? Wo wir ohnehin schon genug Gewalt erleben, die religiös begründet wird? Brauchen wir heute wirklich auch noch Menschen, die im Namen Jesu zur Waffe greifen?

Gewalt lässt sich mit keiner Religion angemessen begründen. Dafür muss man immer bestimmte Sätze der jeweiligen Heiligen Schriften aus dem Zusammenhang reißen und verallgemeinern. Genau dies könnte aber immerhin mit Jesu Satz vom Schwert geschehen. In seinem Zusammenhang jedoch meint er etwas anderes: Wenn ich mich an Jesu Vorbild orientiere, dann werde ich nicht um des lieben Friedens willen schweigen, wo ich mich aufgefordert fühle, das Wort zu ergreifen. Vor allem, wo ich Unrecht und Gewalt gegen Schwächere sehe. Pazifismus – also: Frieden machen – ist kein Freibrief dafür, die Hände in den Schoß zu legen und milde lächelnd zu schweigen, weil man sich mit jeder Position natürlich immer auch angreifbar macht und irren kann.

Wenn ich im Namen Jesu die Stimme erhebe für Bedrängte und gegen akute Missstände, kann ich in eine gefährliche Situation geraten. Christen treten für Flüchtlinge ein und werden mit Hass und Gewalt konfrontiert. Hakenkreuze werden an Pfarrhäuser geschmiert, es wird mehr oder weniger unumwunden zum Mord aufgerufen.

Jesus meint: Ich tauge nicht für einen Frieden, der kein wirklicher Friede ist. Ich bringe Entzweiung.

Das ist manchmal notwendig. Klärend. Und in Extremsituationen kann das auch Gewalt einschließen – gerade zugunsten anderer. Das ist bei uns die Aufgabe von Polizisten. Auch unter ihnen sind Christen.

 

Foto: Andre Zelck

 

 

Christian Hartung, Jahrgang 1963, ist Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Kirchberg im Hunsrück und Autor mehrerer Krimis.

 

 

 

 

Aufmacherfoto: Das um 1394 entstandene Weltgerichtsfresko über dem Chorbogen der evangelischen Ulrichskirche im Neu-Ulmer Stadtteil Pfuhl gilt in der Region als einzigartiges Dokument. Jesu richtendes Schwert weist auf die Sünder, aber auch auf die Frommen. (Foto: epd-Bild/Gerrit-Richard Ranft)