Die Zeitschenkerin

Die Düsseldorferin Beate Ständer begleitet ehrenamtlich Sterbende in Pflegeheimen.

Text: Thomas Becker, Foto: Gerald Biebersdorf

Es begann mit einer Anzeige, die Beate Ständer in einer Tageszeitung las. „Ehrenamtliche gesucht“, hieß es darin. Bäume hätte sie pflegen, Kleinkinder betreuen oder Schülern bei Hausaufgaben helfen können. Beate Ständer entschied sich aber dafür, Sterbende in Pflegeheimen in den Tod zu begleiten. „Ich habe da keine Berührungsängste“, sagt sie.

Es klingt sanft, ganz friedlich, wenn die 64-jährige Mutter dreier Kinder vom Tod spricht. „Wenn ich an ihn denke, stelle ich mir ein Meer mit weiten Wellen vor.“ Ein Meer, groß genug, um die Toten aufzunehmen und sie zu umgeben.

„Menschen am Ende ihres Lebens begleiten zu dürfen, empfinde ich nicht als belastend“, sagt Beate Ständer, während die Sonne durchs Fenster der Altbauwohnung auf ihr graues Haar scheint. Da sie nicht berufstätig ist und die Kinder aus dem Haus sind, hat sie Zeit, um für andere da zu sein. Für sie eine sinnvolle Aufgabe: „Ich bin eine Zeitschenkerin“, sagt sie zurückhaltend.

Ihr Blick wandert zu den Bildern im Wohnzimmer. Die Familie ist zu sehen: drei erwachsene Kinder mit ihren Partnern und ein Enkelkind, um das sie und ihr Ehemann, ein pensionierter Gymnasiallehrer, sich einmal in der Woche kümmern. Als ihr Mann noch arbeitete, hat sie die Erziehung der Kinder übernommen. „Was ich nicht machen könnte“, sagt Beate Ständer und holt tief Luft: „Junge Menschen in den Tod zu begleiten, vor allem Kinder, die das Leben noch vor sich haben sollten.“ Bei älteren Menschen sei es etwas anderes. „Irgendwann kommt der Moment, da sind wir krank, schwach, wollen oder können nicht mehr.“ Der Tod werde da bisweilen als Befreiung empfunden. „Schade ist nur, wenn man in den letzten Wochen des Lebens allein ist.“

Vor gut einem Jahr hat sich Beate Ständer deswegen als ehrenamtliche Sterbebegleiterin ausbilden lassen und dazu eine Schulung der Diakonie Düsseldorf besucht. Was Menschen am Lebensende beschäftigt, was sie belastet und wie man Ängsten und Trauer begegnet, hat sie bei der Schulung gelernt. Zudem hat sie erfahren, wie sie sich schützen kann, wenn die Gespräche rund um den Tod zu belastend werden sollten.

Beate Ständer und elf weitere Ehrenamtliche sind ausschließlich in Düsseldorfer Pflegeheimen im Einsatz, wo ihre Hilfe dringend gefragt ist: Schätzungen zufolge stirbt jeder fünfte Deutsche in einem Pflegeheim, häufig ganz allein, ohne Angehörige, die weit entfernt in einer anderen Stadt wohnen oder bereits verstorben sind. Zwar sind Heime laut neuer Pflegereform dazu verpflichtet, eine Sterbebegleitung durch Voll- oder Teilzeitkräfte anzubieten. Damit Sterbende am Ende ihres Lebens aber noch mehr Zuwendung erfahren, sind in Düsseldorf seit gut einem Jahr außerdem ehrenamtliche Sterbebegleiter im Einsatz.

Um sich auf ihre Aufgabe vorzubereiten, hat Beate Ständer ein Praktikum im Katharina-von-Bora-Haus absolviert, einem Altersheim der Diakonie in Bilk. Schon in der ersten Woche kam es zum Ernstfall, eine 94-Jährige lag im Sterben. „Sie war mit sich im Reinen – eine durch und durch positive Frau“, sagt Beate Ständer. Nach Rücksprache mit den Angehörigen, die alle berufstätig sind, besuchte Beate Ständer die im Sterben liegende Frau auch nach ihrem Praktikum häufig.

Sie las ihr Märchen vor, saß stundenlang an ihrem Bett, hielt ihre Hand, hörte zu, wenn der Hochbetagten danach zumute war, etwas aus ihrem Leben zu erzählen. Oder Beate Ständer erzählte selbst: von der eigenen Familie, von ihren Reisen im Segelboot – bis die Dame starb. „An Altersschwäche hätte es früher wohl geheißen“, sagt Beate Ständer. „Und das trifft es auch ganz gut.“

Sie ging zur Beerdigung, traf Tochter und Enkelkind, die während der letzten Tage vor dem Tod ebenfalls viele Stunden am Sterbebett verbracht hatten. Nicht immer werde sie Beerdigungen der Menschen beiwohnen, die sie begleitet hat, meint Beate Ständer. Bei ihrem ersten Einsatz war es ihr aber wichtig. „So konnte auch ich mich verabschieden.“